Kakao im Vanillinpelz oder: Ein Bitterporno türkischer Industrieschokolade!

Heimat und Schokolade

Nach all den Krümeln im Dezember ist mir dieser Tage nach bittersüßer Schokolade. Und wenn dieses Gefühl einer kennt, dann ist das Krishna Mustafa, der Held des Romans „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“. Denn Selim Özdogan hat ein Buch geschrieben, das zwischendurch sehr lustig ist, von solch abstrakten Dingen wie Heimat und Identität handelt und von der Sehnsucht nach dunkler Schokolade in Istanbul.

Wer schon einmal türkische Schokolade gekostet hat, weiss, dass diese sich nicht durch den zartesten aller Schokoschmelze auszeichnet, dies sei vorweg genommen. Trotzdem ließen Chocolatier Christoph Wohlfarth und ich es uns nicht nehmen, der Bitte von Selim Folge zu leisten und vier Tafeln auf Herz und Nieren aka Schmelz und Kakaonote zu prüfen.

Das mag daran liegen, dass der Protagonist des Romans, wenn er denn mal gross wird, sympathischerweise Nachtischler werden möchte und einen Schokoladen bauen. Auf der Suche nach seiner Identität in Istanbul kommt er nicht umhin, das ein oder andere Tafel türkische Bitterschokolade zu probieren und bitter (sic!) enttäuscht zu werden:

Komisch, dass ich bei dem Gedanken an Fleisch Lust auf Schokolade bekommen habe. Es gibt keine Moscheen, aber kleine Läden findet man an jeder Ecke. Ich kaufe in einem eine dunkle türkische Schokolade. Sonst mache ich mir nicht viel aus Essen, aber die Schokolade muss schmecken. Wenn ich groß bin, möchte ich mal Nachtischler werden und einen Schokoladen bauen, sagt Hase immer. Ich mag Schokolade. Nicht Zucker und Pflanzenfett, ich mag Schokolade, deswegen steht auf der Packung Kakaoanteil 70% drauf. Ich stecke mir ein Stück in den Mund.
Es schmeckt nicht. Die Schokolade ist nicht schlecht, sie schmeckt nur nicht. Überhaupt nicht. Schlimmer als Vollmilchschokolade. Ich gucke nochmal auf die Packung. 70 % steht da. Dunkle Schokolade kauft man doch wegen des Geschmacks. Was habe ich davon, wenn da 70% Kakao drin ist, aber der Kakao nicht schmeckt. Das ist ja wie ein Konzert, zu dem 70.000 Zuschauer kommen, die aber alle taub sind.
Ich werfe die Tafel weg und sehe auf mein Handy.

Wieso Heimat? Ich wohne zur Miete!

4 Mal dunkle Schokolade. Einmal aus dem Hause Nestlé, zweimal aus dem Hause Ülker und die von uns Testern beim ersten Anblick spontan zur Pornoversion erkorene Karam aus dem Hause Eti. Wir wappnen uns mit feinem Tee und viel Wasser und einem scharfen Messer. Unsere/meine Erkenntnisse im Überblick:

1) Nestlé verwendet in seiner Nestlé 1927 (siehe Bild: 60 %) keine Sojalecithine dafür Sonnenblumenlecithine (Frau Küchenlatein, ist das nu besser? ). Ansonsten macht es uns die Nestlé nicht leicht sie zu mögen: Da ist kein Schmelz, da ist keine Schokolade, da ist Muffigkeit.
2) Laktoseängste scheinen in der Türkei nicht ganz so weit verbreitet zu sein, denn wir finden Milchfett immer wieder in den Zutatenlisten.
3) Aromen glänzen aber durch Präsenz, werden aber leider nicht namentlich genannt. Bis auf das Vanillin. Und Vanillin kann ganz schön unangenehm riechen.
4) In Sachen Verpackung weiss uns Nestlé zu begeistern, wobei die Karam mit Originaliät in Sachen Form besticht. Überhaupt wundern wir uns an der quadratischen Verpackung, die in Deutschland Rittersport gepachtet zu haben scheint.
5) Im Gegensatz zu Keksen wird Schokolade gelutscht und das am Besten bei 20-25°C Zimmertemperatur. Das machen wir anfangs falsch, bzw. haben die Schokolade nicht ausreichend aus dem Berliner Winter herausgeholt. Schmelz suchen wir bei den vier Kandidaten trotzdem bis zum Ende vergebens. Ülker 80 % hat da noch am meisten zu bieten, Eti toppt in Sachen Schokogeschmack sind wir uns einig.
6) Türkische Bitterschokolade ist erstaunlicherweise nicht besonders süß, das hatte ich ja befürchtet.
7) Obacht beim Schnuppern: Wenn man die Verpackung öffnet, kommen da mitunter Aromen zu Tage, die nichts mit Schokolade zu tun haben. Ich lerne: Aromen dienen bei Industrieschokolade auch dazu, verbrannte und verschimmelte Kakaobohnen geschmacklich zu deckeln.
8) Industriekakao macht um die 90 % aus und hat den Vorteil, dass die Farbe immer gleichbleibend dunkel und der Geschmack sehr widerstandsfähig ist.
9) Kakao hat so viele Nuancen wie Wein oder Kaffee. Und das Gute beim Verkosten: Guter Kakao hält sich länger als schlechter, also im Abgang! Das merke ich, als wir im Nachgang noch ein wenig von Christophs geheimen Kakaovorräten naschen. Ich sag nur Peru!
10) Aufruf: Wer kennt gute, handgemachte türkische Schokolade? Davon hätten wir jetzt gern mal ein Stück!

Und ihr, liebe Leser, ihr dürft ihr euch zurücklehnen und genießen. Der Held im Buch vergnügt sich nämlich nicht nur mit Süßem sondern zum Missfallen seiner Freundin Laura auch mit der holden Obrigkeit, die ihm ob seiner anfänglichen Frisur skeptisch gegenüber tritt – Film ab!

Niemand wird mit Dreadlocks geboren from Selim Ozdogan on Vimeo.

Vielen Dank, lieber Christoph, für den fachlichen Input – es war mir ein Vergnügen und nächstes Mal wird gebacken, deal?

Wem jetzt nach Lesen und dabei gute dunkle Schokolade Lutschen ist, dem sei das Buch wärmstens empfohlen und dazu dunkle Schokostäbchen von Christoph. Ersteres gibt es ab dem 12. Februar im Buchladen eurer Wahl oder bei einer der Lesungen Selims in den kommenden Wochen. Letzteres in Christophs Schokomanufaktur in der Choriner Straße 37 in Berlin, in den Schokoläden Deutschlands mit gutem Geschmack! oder online!
Christoph Wohlfarth Chocolatier

PS: Nostalgische Anekdote am Rande: Vor meiner Zeit als Kekstesterin waren die Biskrem Duo aus dem Hause Ülker meine absoluten Lieblingskekse. Nicht umsonst führe ich sie weiterhin als Avatar!

Und last but not least, weise ich hiermit alle lesehungrigen Lieblingsleser auf das Literatur Event von Shermin hin:

2 Replies to “Kakao im Vanillinpelz oder: Ein Bitterporno türkischer Industrieschokolade!”

  1. Gute Schokolade braucht immer noch kein Lecithin, auch wenn aus der Sonnenblume. Nur muss man für Sonnenblumen nicht den Regenwald abholzen. Der Verbraucher hat es in der Hand ;-) Ich genieße nur Lecithin freie Schokolade, immer noch … Die mit Lecithin ist keine hochwertige Schokolade und darf verbacken werden ;-)

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